Zehn Menschen wurden am 19. Februar 2020 in Hanau durch einen rassistischen Attentäter gewaltsam aus dem Leben gerissen. Es ist ein weiterer aus einer Reihe erschütternder rassistischer Anschläge in Deutschland. Und obwohl es schon längst keine Einzelfälle oder Einzeltäter*innen sind, bleibt eine angemessene politische Reaktion bisher aus.Um an die Verstorbenen zu erinnern und politisch Stellung zu beziehen, versammelten sich am Dienstagabend den 25. Februar circa 50 Menschen auf der Kliaplatte in Merseburg zu einer Mahnwache.
Sie zeigten damit ihre Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen. Wir stehen Seite an Seite gegen den Rassismus. Nachdem der Veranstalter den Aufruf des Bündnis Merseburg auf Deutsch verlesen hatte, folgte der Redebeitrag des Vereins Domstraße 2. Wir forderten dazu auf, täglich anti-rassistische Arbeit zu leisten, mit Betroffenen von Rassismus zusammenzuarbeiten und ihre Perspektiven kennenzulernen und sich gegenseitig zu empowern und zu schützen. Anschließend sprach einer der Gäste ein Gebet und verlas den Aufruf zur Mahnwache auf arabisch. Um den Verstorbenen zu gedenken, wurden die Namen der Ermordeten verlesen und die Anwesenden verstummten zu einer Schweigeminute. Still wurden Blumen vor einem Schild mit den Namen der Opfer abgelegt. Im weiteren Verlauf hielten Vetreter*innen des KLinke e.V., des Bündnis Merseburg, der JuSos und der Stadtratsvorsitzende Roland Striegel eigene Redebeiträge. Sie alle benannten den bundesweiten Rechtsruck, seine fatalen Folgen und gaben verschiedene Denkanstöße, was nun getan werden kann.
Im Kontrast zur andächtigen Stimmung der Mahnwache wehte der Wind fast tröstlich das Lachen einiger Kinder herüber, die auf der Kliaplatte herumtollten. Einige Passant*innen blieben stehen, beobachteten das Geschehen und zogen weiter. Leider beobachteten auch vier stadtbekannte Nazis das Geschehen. Sie fielen dankenswerterweise nur durch ihre Anwesenheit und nicht durch Pöbeleien oder Angriffe auf.
Gemeinsam für ein friedliches, weltoffenes Deutschland!
Alle zusammen gegen den Faschismus!
Unser Redebeitrag
Hallo ich bin vom Verein Domstraße 2 e.V., ihr kennt uns vielleicht. Wir sind Studis, die hier wohnen und leben und sich für mehr Kultur einsetzen. Für uns ist Antifaschismus Kern unserer Arbeit und wir sind fassungslos angesichts der Ereignisse in Hanau vergangene Woche und in ganz Deutschland in den letzten Monaten und Jahren.
Wir trauern um die Opfer und sind in Gedanken bei den Familien.
Doch Trauer ist nicht unser einziges Gefühl. Wir fühlen Wut. Verzweiflung. Scham.
Es ist eine Schande, dass manche Menschen sich in Deutschland offensichtlich nicht sicher fühlen können. Weil sie nicht in das rassistische Weltbild von Nationalisten passen, müssen sie Angst um ihre Sicherheit und ihr Leben haben. Wir schämen uns dafür und für dieses Land, das von sich selbst behauptet, so tolerant zu sein und doch noch nie wirklich anti-rassistisch war.
Wir alle leben hier in Deutschland. Manche von uns wurden hier geboren, andere sind als Kinder oder Erwachsene eingewandert. Manche aus freien Stücken, andere weil sie durch Flucht dazu gezwungen wurden. Viele von uns gingen hier zur Schule oder schicken ihre Kinder dort hin. Wir arbeiten hier, pflegen Freundschaften, gestalten, schaffen, lieben hier, gründen Familien, fahren in den Urlaub. Manchmal sind wir traurig, wütend, manchmal glücklich. Wir sind alle einfach Menschen. Wir sind alle vollkommen berechtigter Teil einer deutschen Gesellschaft.
Und obwohl uns das vereint, können wir nicht davon sprechen, dass es sich bei einem rassistischen Anschlag um einen Angriff auf uns alle handelt.
Denn obwohl wir, Demokratinnen und Demokraten, uns gerne als Gemeinschaft begreifen wollen und keine Unterschiede nach Herkunft, Hautfarbe, Religion, Sexualität oder Staatsangehörigkeit machen – andere tun genau das. Nazis und Rechtspopulisten machen diese Unterschiede und greifen an.
Deshalb: benennt rassistische Anschläge, als das was sie sind: Ein Angriff auf einige von uns. Es ist unsere Aufgabe, als Demokrat*innen, dafür zu sorgen, dass jede und jeder in diesem Land sicher und frei leben kann.
Wenn der Staat und die Behörden diesen Schutz nicht gewährleisten können oder keine ausreichenden Maßnahmen ergreifen, dann müssen wir es selbst tun.
Es stellt sich die Frage, was wir tun können. Wie können wir uns beschützen, wie können wir eine Gemeinschaft werden?
Das Netzwerk „neue deutsche organisationen“ hat einen Tag nach Hanau ein Manifest für eine plurale Gesellschaft veröffentlicht. Der erste Satz lautet: Die Stärke einer Demokratie misst sich am Umgang mit ihren Minderheiten.
Sie fordern: Lasst Menschen, denen ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird, endlich gleichberechtigter Teil dieser Gesellschaft sein. Lasst Menschen, die hier leben, an Wahlen teilnehmen. Lasst die Kinder in die guten Schulen, lasst nicht-weiße Menschen endlich in die gut bezahlten Jobs, lasst sie in die Politik, in Behörden. Gebt Menschen unkomplizierter die deutsche Staatsangehörigkeit. Nutzt eure Privilegien, um anderen Raum zu verschaffen.
Was können wir jeden Tag tun, wenn wir nicht gerade Lehrer, Chefinnen oder Medienmachende sind?
Wenn wir tatsächlich etwas an den deutschen Zuständen ändern wollen, dann geht das nur, wenn wir denjenigen zuhören, die davon betroffen sind. Wir müssen es uns erklären lassen. Wer Rassismus nie selbst erfahren hat, kann kein Rassismus-Experte sein.
Wir müssen also zuhören. Hinschauen. Glauben schenken. Und dann an uns selbst arbeiten.Viele von uns geben bereits ihr Bestes. Es gibt viele Stimmen, die sich gegen die AfD und andere Nationalisten und Rassistinnen erheben. Wir müssen noch mehr und lauter werden.
Es liegt an uns, diese Demokratie und uns gegenseitig zu schützen. Also tun wir es auch!
Alle zusammen gegen den Faschismus!